Wow. Was für eine Woche! Ein Auf und Ab mit Höhen und
Tiefen!
Sechs Kinder durfte ich diese Woche auf
ihrem Weg ins Leben begleiten.
In der Klinik hier läuft die Geburtshilfe anders als ich sie jemals gesehen
habe. Die vielen wehenden Frauen bleiben so lange auf der “Station” (eine
Anneinderreihung von 15 Betten), bis “es drückt”.
Zu Beginn werden sie kurz untersucht und dann im Wehenschmerz allein gelassen.
Jede Frau, die jemanden mitbringt, der sich um sie kümmert, kann sich glücklich
schätzen. Diese Person bringt ihr Essen und Trinken, besorgt die Handschuhe und
die Medikamente, hält den Platz ordentlich, richtet das Bett und macht nach der
Geburt die Wäsche. Wer niemanden hat, muss eben all das alleine machen, oder
einfach aushalten. Möglichst still und leise gebären, dabei keine Gefühle zeigen
– das scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein.
Irgendwann kommen sie dann (mit ihrer Begleitung) in den Geburtsraum gelaufen,
angespannt, ängstlich und verkrampft. Bei der ersten Geburt am Dienstag waren
gerade zwei Frauen im Geburtsraum (eine Schwangere zur Untersuchung und eine
Wöchnerin, die ein Verhütungsimplantat bekommen hat). Der kleine Raum war also
voll, als seine der Wehenden von der Station kam, um ihr Kind zur Welt zu
bringen. Schnell alle raus! Die Plastikfolie wird auf die Liege gelegt, die
Gebärende zieht sich aus, legt sich auf den Rücken, wird zum Schieben
angefeuert und keine fünf Minuten später
ist das Baby da. Das Kind wird nun erstmal an den Füßen hochgehalten, die
Nabelschnur sofort durchtrennt und dann in viele Tücher gewickelt, um
anschließend sofort untersucht zu werden. Sobald die Plazenta geboren ist und
die Frau sich wieder angezogen hat, steht sie auf und geht auf die Station, als
sei nichts passiert. Gebären scheint derart alltäglich zu sein, dass ich bisher
bei keiner Geburt irgendeine Emotion der Frau erlebt habe.
Nachdem wir dann kurz den Raum geputzt haben, kam auch schon die nächste Frau
rein. Diesmal hat ihre Begleitung ein kleines Bündel in der Hand gehalten – ihr
Kind, geboren im Plumpsklo in der 28.SSW, 1200g leicht. Der kleine Junge wurde
abgenabelt, auf die Brust der Mutter gelegt und zugedeckt. Angestrengt
versuchte er, zu atmen, hat sogar langsam etwas Farbe bekommen und ein zartes
Schreien von sich gegeben. Erst später habe ich erfahren, dass diese Frau eine
Stunde vorher schonmal da war – um den ersten Zwilling zu gebären. Ich kann mir
nicht erklären, wieso diese Frau nach der Geburt des ersten Zwillings allein
gelassen wurde! Der erste Zwilling hat sich genauso schwer getan, wog 1300g und
lag in ein Tuch gewickelt alleine im Bett der Mutter, als sie mit dem schon
geborenen Bruder in den Kreißsaal kam. Die Hebammen erklärten mir, dass sie den
Ehemann schon angerufen hätten, damit die Frau in ein Krankenhaus verlegt
werden kann, in dem die Frühchen versorgt werden kann. Aber der Mann hat sich
eben Zeit gelassen, sodass die Frau mit ihren Zwillingen schließlich drei
Stunden nach der Geburt des ersten Kindes verlegt wurde. Eine besondere Situation
schien dies nicht zu sein. In aller Seelenruhe (man könnte es auch
Gleichgültigkeit nennen) wurde die Frau zur Station gebracht, damit Platz für
die Nächste gemacht werden kann. Es wird schon irgendwann jemand kommen, der
die Frau verlegt…
Geburt Nummer vier durfte ich dann im “Mzungu Style” selbst
leiten. Zwei Liegen gibt es im Kreißsaal, sodas die diensthabende Hebamme auf
Liege 1 eine weitere schnelle Erstgebärende entbunden hat, während ich daneben
mit der anderen Frau gearbeit habe. Diese Frau hat ihr drittes Kind erwartet
und kaum Englisch gesprochen. Trotzdem
haben wir uns verstanden, sodass ich ihr zeigen konnte, welche
Positionen sie probieren kann und wie die Atmung ihr helfen kann. Man lernt
auch, mit den wenigen vorhandenen Materialien irgendwie zurecht zu kommen. Vorher
wurde sie gut von ihrer Begleitung mit Essen und Trinken versorgt und hat
dankbar jede Hilfe, jedes bestärkende Wort, jeden freundlichen Blick und die
Kreuzbeinmassage angenommen. Es ist nicht leicht, in diesem Raum eine
angemessene Atmosphäre zur Geburt zu schaffen. Nur durch einen Vorhang getrennt
von der anderen Frau blieben uns vielleicht fünf qm, die wir nutzen konnten.
Alles ist gut gelaufen, Mutter und Kind ging es die ganze Zeit über gut. Mit
leicht verwirrtem und staunenden Blick
kam die diensthabende Hebamme dazu, als ich den kleinen Jungen aufgefangen hab
und die Frau dabei in einer aufrechten Position (im 4-Füßler) war. Aber sie
ließ mich alles so machen, wie ich es für “richtig” halte, sodass ich die
Nabelschnur auspulsieren lassen konnte und das Kind nach dem Abtrocknen
Haut-auf-Haut auf die Brust der Mutter gelegt habe.
Am Mittwoch habe ich meinen ersten Workshop zum Thema
Geburtspositionen im Geburtshaus gehalten. Es ist sehr gut gelaufen, wir hatten
viel Spaß und ich denke, dass
die
Hebammen etwas mitnehmen konnten und die ein oder andere Technik anwenden
werden.
Seit Donnerstag ist die Leiterin der Organisation auch hier und so langsam habe
ich das Gefühl, mich nach dem schwierigen Start etwas mehr einzuleben und dass
die Zeit hier eine Bereicherung für mich sein kann. Danke auch für die vielen lieben
eMails, vor allem von vielen Familien, die ich in Koblenz begleitet hab! Ihr
seid großartig !
Am Freitag wurde ein hübsches
Mädchen
bei Shanti geboren. Alle Hebammen waren bei einem Workshop, sodass ich die Frau
auch alleine betreut habe. Es war das sechste Kind und es ist alles gut
gelaufen. Eine kleine Julia!
Was mich diese Woche wirklich fassungslos gemacht hat war die Nachricht vom
Hebammenverband in Deutschland. Unsere Versicherung streicht zum 01.Juli 2015
die Beurfshaftpflichtversicherung. Wenn keine Alternative gefunden wird,
bedeutet dies das Aus für alle freiberuflichen Hebammen, für Geburtshäuser und
Praxen. Auch Kurse, Hebammenvorsorge und Nachsorge wird es dann nicht mehr
geben, denn ohne eine Versicherung dürfen wir in Deutschland nicht arbeiten.
Hier der Link zum Artikel.
http://www.hebammenverband.de
Ich hoffe so sehr, dass bis dahin ein anderes Versicherungsunternehmen gefunden
werden kann – sonst kann ich meinen Beruf an den Nagel hängen…
Frauen, wehrt euch! Ein ganzer
Berufsstand steht vor der Vernichtung!